Sonntag, 20. November 2011

Ansätze zur Bestimmung disziplinübergreifender Handlungrelevanz

Teil 2: Informationssoziologische Perspektive

Frühe Ansätze von Kunze/Rittel verorten Informationswissenschaft prinzipiell in den Sozialwissenschaften. Diese Zuordnung wird durch die gegensätzliche Bestimmung zwischen technischen bzw. naturwissenschaftlich orientierten und psychologischen bzw. sozialen Bezügen verdeutlicht. Im Rahmen der Diskussion um den Informationsbegriff ermittelt J. Krause in "Ethik und Sozialwissenschaften 1998, Heft 2 und 2001, Heft 1" eine bis heute anhaltende deutliche technologieorientierte Reduktion, die sich in der Informatik angesiedelt hat. Humane und soziale Faktoren werden hierbei von Krause beim Einsatz von Informationssystemen als unerlässlich erklärt. Vielmehr ist aus seiner Perspektive gerade jene technische Reduktionen die Ursache für eine erfolglose Integration von nachhaltigen Informationssystemen.

Die durch Krause erwähnten Äußerungen von Wersig lassen die Vermutung zu, dass eine Definition des Begriffs der Ungewissheit auch im sozialwissenschaftlichen Kontext lange Zeit keine Beachtung fand. Wersig bezeichnete erstaunlicherweise die uns bereits von Kuhlen bekannte Ungewissheit als Indikator, der als verhaltenssteuernder Faktor angesprochen werden kann. Weiter hält er die Definitionen zum Informationsbegriff, allein wenn sie auf dem Wissensbegriff basiert, als verfehlt. Die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des Benutzers wird sich "in der Regel an seinen internalisierten Werten, Normen, Einstellungen u.ä. orientieren. Eine gesellschaftliche Fragestellung wird zwar zum "kleinsten behandelbaren Nenner der Informationswissenschaft" erklärt, jedoch folgen daraufhin weitere sozialwissenschaftliche Aspekte.

Diese werden von Krause als letzte Einbindung gedeutet, da sie über die Einbeziehung der menschlichen Entscheidungsfaktoren im Cognitive Viewpoint (Teil 3) hinausgeht. Allein die Betrachtung der Folgen durch Vermittlungsinstanzen (Bibliotheken, FIZe, Verlage u.a.) und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft, sind ein Beweis des gesamtheitlichen Anteils der Soziologie an informationswissenschaftlichen Ansätzen. Aus diesem Grund und aus aktuellen Entwicklungen des vernetzten Erarbeitens von Wissensfeldern oder kollaborativer elektronischer Instrumente zur Problemlösung wird ersichtlich, dass der sozialwissenschaftliche Kontext unverzichtbar wird.

Krause vertritt zudem, mittels der Äußerungen von Wersig, den Ansatz, dass diese soziologisch orientierte Kerndefinition, untrennbar von technologischen und psychologischen Fakten in den Fokus der Informationswissenschaften gestellt werde sollte. Wersig definiert die Informationssoziologie als Diffusionsfeld für sämtliche Wissenschaften, die im gemeinsamen Kontext informationeller Systeme die Sichtweise der Information als Wissen in Aktion für sich erkennen lässt. Hierbei definiert er sogenannte Diffusionsfelder als Fächer, die sich mit Informationsprozessen oder -systemen befassen, die sich jedoch nicht nur im Kontext eigener Fragestellungen wiederfinden. Hier empfiehlt er eine informationswissenschaftliche Aufgabenstellung, wobei es idealtypischer Weise die Soziologie wäre, aus der die informationswissenschaftliche Kerndefinition übernommen werden müsse. Dies ermögliche einen einheitlichen Blickwinkel auf alle Komponenten von Informationssystemen inklusive ihrer gesellschaftlichen Folgewirkungen. Die Modelle für z.B. die Benutzerforschung wären dann sowohl durch die Soziologie als auch durch die Informationswissenschaft leichter ableitbar.


Ein Ansatz zur Bestimmung einer disziplinübergreifenden, metakommunikativen Ebene könnte sich demnach als Modell mit Diffusionsfeldern aufbauen, die aus diversen Fächern bestehen, in den ihrerseits einzelne Informationsprozesse oder -systeme untereinander verknüpft sind.

Im nächsten Teil dieser Reihe werde ich den sogenannten "Cognitive Viewpoint" von Ingwersen näher untersuchen.

Quellen:
  • Kunz, W.; Rittel, H. (1972): Die Informationswissenschaften. Ihre Ansätze, Probleme, Methoden und ihr Ausbau in der Bundesrepublik Deutschland München/Wien
  • Wersig, Gernot (1973): Informationssoziologie - Hinweise zu einem informationswissenschaftlichen Teilbereich, Frankfurt/Main: Athenäum Fischer
  • Rauch, Wolf (2003): Neue Informations-Horizonte? In: Hennings, Ralf-Dirk; Grudowski, Stefan; Ratzek, Wolfgang (Hrsg.): (Über-)Leben in der Informationsgesellschaft - Zwischen Informationsüberflut und Wissensarmut. Festschrift für Prof. Dr. Gernot Wersig zum 60. Geburtstag. S. 7-14

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